Sonntagnachmittag, noch bevor ich die Wohnungstür aufsperre höre ich das Telefon klingeln. Die blinkende Anzeige vermerkt sieben unbeantwortete Anrufe und hebe ab: „Pronto? - ja klar sehe ich, dass du angerufen hast - weil ich vielleicht gerade erst zur Tür herein komme - weil es im Fitness-Studio nun mal keinen Empfang hat...“ Bepackt wie ein Esel stehe ich im Türstock und informiere das Treppenhaus: „...lass mich bitte kurz ablegen, ich ruf sofort zurück - ja, gleich - ja, sofort - Laura - ich leg jetzt auf.“ - Klick.
Kopfschüttelnd lege ich ab, schenke mir eine Apfelschorle ein, wähle Lauras Nummer und stelle auf laut. Sie geht ran: „Mensch ich glaub´s ja nicht, ich werd hier mit Mails überschwemmt!“
„Schön das“, sinke ich schicksalsergeben aufs Sofa und nutze die Gelegenheit meinen Feuchtigkeitshaushalt auszugleichen.
Aus dem Lautsprecher ergießt sich derweil folgender Wortschwall: „Ja, und einer ist dabei, mit dem chatte ich sogar schon. Gestern allerdings nur ganz kurz, weil es schon sauspät war, und grad vorher nochmal. Du, der hat mich für heut Abend zum Essen eingeladen...“ – Gelangweilt reibe ich indess einen Fettfleck mit dem Ärmel von der Couchtischplatte, während der autonome Hörer lustig weiterquakt. - „...und der schreibt total genial! Mit sehr viel Charme und Esprit.“ Laura macht die erste Atempause und auf die sekundenlange andächtige Stille folgt: „Mensch Julia, was soll ich nur anziehen?!“
Ich kratze mich an der Stirn, nehme den Hörer mit zum Flurspiegel und lege ihn dort auf die Ablage: „War das gerade eine Frage?“
Laura wirkt leicht gereizt: „Was-soll-ich-anziehen ist nicht nur irgendeine Frage, es ist DIE Frage schlechthin!“
Ich entdecke ein kleines Pickelchen an der juckenden Stelle und antworte: „Du tust gerade so, als würde dein Leben davon abhängen.“
Nun bricht ihre Stimme und krächzt: „Tut es ja auch!“
Mit eingeklemmtem Hörer gehe ins Bad und betupfe die Pustel mit Clerasil: „Jedenfalls bist du echt völlig durch den Wind, Schnecke!“
„Was denkst du?!“, klingeln mir die Ohren, „ich sterbe vor Aufregung! - Wie verhält man sich denn da bloß?“
Ich friemle an meinen Augenbrauen herum, überprüfe, ob sie demnächst schon wieder gezupft gehören und erwidere: „Man verhält sich wie immer.“
„Und WAS ZIEHE ICH AN?!“, keift es, worauf ich den dröhnenden Hörer demonstrativ von mir halte und beim wieder Heranholen empfehle: „Wie immer, worin du dich eben wohl fühlst.“ - Meine Zähne könnte ich auch mal wieder polieren lassen, denn bei näherer Betrachtung erkenne ich einen leichten Kaffee-Schatten in den Zwischenräumen.
„Und was, wenn es der totale Horror wird?“, hysterischt es weiter.
Mit den Worten: „Na, das wär ja nicht das erste mal. Dazu brauchen wir das Internet ja nicht, oder?!“, begutachte ich nun meine Nägel.
„Shiiit!“, stöhnt Laura.
Ich schnappe mir den Nagellackentferner und ein Wattepat: „Das packst du!“
„Meinst du?“
Mit immer noch eingeklemmten Hörer wische ich mir den alten Lack ab: „Klar! Du schaffst das, Laura. Sei einfach du, DU SELBST und wenn er das nicht mag, magst du ihn eben auch nicht und basta! Dich muss man einfach gern haben, verstehst du?!“
„Was täte ich nur ohne dich?!“
Mit erhobener Faust rufe ich: „Tschacka!“, worauf ein beherztes „Tschacka!“ zurückschallt und der veranzte Wattebausch seinen Weg die Toilettenspülung hinunter antritt.