Melanie Nunner
  3 Boom Boom Pow
 



 
 

Wir kommen im Strenginos an, als der Laden schon brummt. Die Tanzfläche ist voll und die Stimmung topp. Ich bestelle mir einen Planters Punch und suche einen Ort, an dem ich meine Jacke deponieren kann. Peter brüllt mir derweil in Disco-Lautstärke ein sinnentleertes Gespräch ans angeödete Bein. Gott sei Dank nehme seinen Wortschwall nur als Grummelbrei wahr. Unter Einsatz meiner gesamten Gesichtsmimik nicke ich zwischendurch sporadisch, was 1a-prima funktioniert, denn mein Gegenüber zeigt sich befriedigt und taucht prozentual zum ansteigenden Promillepegel voll in sein Element ein: „...und wesst noch, da wo der Assisdenz-Drähner...“ - für einen Moment erreichen mich Wortfetzen, da gerade ein Lied ins nächste übergeht - „...der Rüdicher, em Grisdian es Gewicht nauf, aufn heilichen ´Großgloggner`...“, hohles Gelächter, „...had nauf fall gelass?“ (Seeehr witzig – ich lach mich dann später tot!) „...und ich sach noch egstra, bass uff Rüdicher, sonsd bassiert gleich ä Unglügg...“, der Himmel sei gepriesen, denn die Musiklautstärke hebt soeben wieder an. Sehnsüchtig blicke ich zur Tanzfläche, auf die ich nur allzu gerne entfliehen möchte, aber immer noch halte ich die olle Jacke in der Hand. Offenbar habe ich in meiner Not einen Beobachter. Dieser stellt sich als Torben aus Hannover vor und bietet mir seinen Barhocker an, um abzulegen. Sobald meine Jacke über dem Hocker hängt, bin in null-komma-nichts am Abhotten.

 

Kein Zufall, die Black Eyed Peas spielen soeben ihr Boom Boom Pow NUR für MICH. Bebender Beat paart sich mit rhythmischem Lichter-Gewitter, abgestimmt auf unregelmäßige Schwarzlicht-Blitze. Umgeben von flackerndem Spotlight und zappelnden Party-People, schüttle ich, was ich hab. In diesem brodelnden Hexenkessel komme ich so richtig in Fahrt und boom-boom-powe, was das Zeug hält. Mich stört noch nicht mal Peters plumper Versuch mich ungelenk anzutanzen („...You´re so Two-Thousand-And-Late...“) und das, obwohl ich bereits auf der Herfahrt, mehr als deutlich, klargemacht habe, dass zwischen uns keinesfalls und JE etwas laufen wird. Nach einigen schweißtreibenden Songs ist eine Verschnaufpause angesagt, also kehre ich zurück zu meinem Cocktail und noch während ich den Drink zum Mund führe, klöppelt mir Peter schon die nächste Story an die Wade. Mich erreichen Bruchstücke wie: „...und mei Chef had gsachd..., ...weil´s Dipp-Brogramm ned fungtionierd had...“, und „...hab ich dann widder än Anschiss gricht...“ - Oooh mein Gott, wieso wundert mich das jetzt nicht, und oooh mein Gott, wie krieg ich den bloß wieder los?! Wenn er wenigstens aussähe wie Brad Pitt, charmant wäre wie Helmut Fischer, unterhaltsam wie Johnny Depp, cool wie Das Bo oder amüsant wie Jim Carrey! Dass Peter Fitness betreibt ahnt man ja jetzt auch nicht gerade-gleich auf den ersten Blick – seufz – nicht mal DAS! „...häd ich fei übahaubtst ned gedenkt, dass des da herin so schö is – Reschbegt...“, Himmel hilf, „...also nadürlich lang ned so schö wie du, abä halt scho schö...“ (A. d. A.: Schluchz!)

 

Tragisch an der Geschichte ist, dass ich hier umringt bin von heißen Schnitten, aber mit Mr. Superbrain an der Backe, besteht auch nicht der leiseste Hauch einer Chance jemand anderen abzuchecken. - Nicht mal ansatzweise. - Nicht mal aus dem Augenwinkel heraus.

Vom Schicksal gebeutelt reihe ich mich getreu dem Motto: „Das ertrage ich nur im Suff!“ in die Warteschlange ein, um den alkoholischen Nachschub zu sichern. Das verschafft Zeit, in der ich krampfhaft nach einer Strategie grüble. Denn so viel kann ich gar nicht in mich rein kippen, dass ich diese Pfeife den ganzen Abend ertrage. Verstohlen blicke ich zu einem Mädel, das offensichtlich auch schon so einiges intus hat. Ich erkenne ein leichtes Hin- und Herschwanken und habe eine zündende Idee: An diese „Grazie“ würde ich den herzallerliebsten Peter nur allzu gerne abtreten. „Es muss ein Schlachtplan her!“, denke ich, während sich mein unsichtbares Teufelchen auf meiner Schulter in Stellung bringt. Mit einem leichten Schlag des kleinen Dreizacks gegen meinen Ohrring, entlockt es der Creole ein zartes Klingen. Dazu beugt sich Diabolino mit lasziv hochgezogener Augenbraue und schiefem Mafiosi-Lächeln leicht vornüber, so dass er mein Gesicht besser sehen kann und hetzt säuselnd: „Ran an den Speck - das wäre doch gelacht - wenn du da nichts deichseln könntest...“ Voller Zuversicht und Vorfreude grinse ich in mich hinein, als mir jemand sachte auf die Schulter tippt: „Darf ich dich auf´n Drink einladen?“ Es ist nicht das Teufelchen - es ist Torben - und es entwickelt sich eine anregende Unterhaltung, die sich auf unserem Rückweg fortsetzt bis --- bis zu Peters Anblick. „Menschenskinna, wenn ich noch ä baar Bier neischüdd, hädd ich möchlicherweis genuch Mud...“, er kippt einen kräftigen Schluck zur Untermauerung, „...mich evenduell ämol unauffällich zur dera Danzmaus nüwer zu schwing...“, deutet vorbildlichen Benehmens mit nacktem Finger quer über die Tanzfläche ausgerechnet auf die von mir Auserkorene (wie günstig!): „...aba hald nua, wenn ich´n Mumm zamgrich...“, kippt sich den restlichen Glasinhalt in den Schlund und dreht sich um, um neuen Stoff zu besorgen. Indess schließt Torben den immer noch Hallo-ich-bin-der-Torben geformten Mund wieder, senkt seine Grußhand unverrichteter Dinge und schaut leicht irritiert aus der duftenden Wäsche. - Und bevor ich jetzt platze, zähle ich hyperventilierend bis Zehn und ergreife nicht nur den mir bereits abgewandten Peter, sondern auch unvermittelt die Initiative. Ohne jegliche Vorwarnung ziehe ich den Mäuserich einfach auf die Tanzfläche und schiebe ihn tanzend, unauffällig in Richtung Maus. Doch als ich mein Ziel fast erreicht habe, reißt sich Peter beinahe panisch von mir los und stürzt zurück an den Rand, auf vermeintlich sicheren Abstand zum erklärten Mäuse-Opfer.

So, genug ist genug - mein Limit erreicht - gleich laufe ich Amok! Es fehlt nicht mehr viel, denn mein Geduldsfaden ist gespannt wie ein Bungee-Jumper am glibbernden Spuckefaden. Ich kann mich einfach nicht länger beherrschen und gestikuliere, wobei ich vermutlich aussehe wie ein Mit-den-Armen-wild-fuchtelnder-Ertrinkender im Todeskampf auf hoher See: „Mann Peter, du bist doch so´n dufter Typ...“, schluck und würg,  „...zeig was du drauf hast und stell dein Licht doch nicht unter den Scheffel!!!“ - Gott, was rede ich denn da?!

Just in diesem Moment beweise ich meinem freudig überraschten Teufelchen WIE überzeugend ich lügen kann. - In meiner Fantasie geht nun das Spotlight an: „And the Oscar goes to...“, aufbrandender Applaus in den Rängen wird mit lautstarken Zurufen, wie: „Bravourös“ unterlegt. - Peter macht jedenfalls große Augen, ist sichtlich angetan und ich fahre fort: „Trau dich, was soll schon passieren? Schlimmstenfalls kriegst´n Korb und den würde ein Mann deines Kalibers überleben. - Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!“ Seine Antwort: „Eichendlich sdimmd des fei, ma müsst hald viel öfters ämol Nächel mit Köpf mach“, bleibt jedoch folgenlos und Torbens Mine immer noch höchst irritiert. Während es unter meiner Schädeldecke laut schnalzt, da mir soeben auch noch das letzte Bisschen Hutschnur endgültig gerissen ist, zuckt Torbens Kopf, als schüttle er dadurch die Irritation ab. Lächelnd erhebt er sein Glas, zwinkert mir aufmunternd zu und meine Gehirnmasse klatscht von einer Rindenwand zur anderen: „Es könnt ja sooo schön sein.“ Wie ein Blitz schießt es mir durchs Stammhirn: „War ich doch gerade so nett am Plauschen gewesen mit dem schicken Torben.“ Ich proste ihm, meines Empfindens, aus viel zu großer Entfernung zurück. Vor meinem geistigen Auge sehe ich, wie sich seine weichen Lippen sanft den meinen nähern und drehe mich abrupt Richtung Tanzfläche. Zielstrebig flute ich auf die Maus zu: „Hallo, ich bin Julia und mein Spezl, der Peter, ist ganz hin und weg von dir...“

Angestrengt versucht Mausi mir in die Augen zu schielen, wobei das Fixieren meines Gesichts ihr offenkundig die letzte Konzentration abfordert. - Also NÜCHTERN-SEIN ist anders! - What shells, ich sichere mir meinen zweiten Oscar: „...der Peter ist echt ein gaaanz ein Lieber und sooo schüchtern...“

Während sie mich kuhäugig angafft, versuche ich meine Stimme, selbst im brüllenden Zustand, so sympathisch und sanft wie nur irgend möglich klingen zu lassen, was eine Kunst für sich ist. Wer es nicht glaubt, kann es ja gern mal ausprobieren. Zumal ich dabei ja auch noch meine ganze angestaute Aggression in einen engelsgleichen Gesichtsausdruck transformiere! „...und er würde dich ja sooo gern auf´n Drink einladen.“

Immer noch dumpfes Stieren mäuseseits, doch ich lasse mich nicht irritieren: „Er traut sich nur nicht dich persönlich anzusprechen.“

Ha! - Nun reißt sie ungläubig verwirrt die Glupscher auf, jetzt nur keine Zeit verlieren, das Mäuselein ist fast geknackt. Ich nutze die Gunst der Stunde und rasple weiter Süßholz: „Du, wenn er dich jetzt auf´n Drink einlädt, tust du mir bitte den Gefallen, ihn einfach anzunehmen, ja?!“ - Klimper mit viel Wimper.

Von meinem freundlich flehenden Augenaufschlag überrumpelt stammelt sie, passend zu Peters Gelalle: „Ja – äh – klar – äh – von mir aus – hmmm – nen Drink – einlad´n – ja – äh – ne, is klar - was soll´s – immer her mit dem Stoff...“

„Okay, dann kriegst du sofort nen Drink...“, puh, ich bin gerettet, „...hast ihn schon fast in der Hand!“ Ich pfeile zurück zu einem immer weniger nüchternen Peter, der beobachtend lauert und dessen Gesicht pure Gespanntheit verrät: „Und, was is jez?!“

„So Peter, ich hab das jetzt für Dich klar gemacht und DU gehst da jetzt bittschön rüber und fragst´s Mausi, was sie trinken möcht!!!“

„Uff – bist ä richtiche Wucht“ und ab schwirrt - besser gesagt - torkelt er, während Diabolino auf meiner Schulter den Moonwalk des Triumphes hinlegt, bis die Sohle raucht und in der daraus entstehenden Wolke verschwindet. - Postwendend macht sich in mir abrupte Entspannung breit. - Endlich kann ich mich, voll und ganz auf Torben konzentrieren.

Der steht immer noch wie angewurzelt, inzwischen allerdings breit grinsend, auf seinem Platz. Mehr als mir lieb ist hat er ganz sicher mitgekriegt, wenn nicht sogar alles. Und da er ja auch noch relativ nüchtern ist, und innerhalb der letzten halben Stunde einen Crashkurs im Lippenlesen absolviert durfte, ist das eine durchaus anzunehmende Wahrscheinlichkeit. Während ich noch damit beschäftigt bin, mir einzureden, wie schnurz-piep-egal mir das ist, steht er schon vor mir: „Mensch Julia, Respekt, wie haste DAS denn jetzt gemacht? Ihr seid ja dann wohl gar nicht zusammen!“

„Wie - zusammen?!“

„Na, ich dachte ihr seid ein Paar!“

Ich blicke auf das torkelnde – äh – tanzende Spitz-Mäusepaar: „Oh mein Gott - NEIN! Peter steht – äh – stand vielleicht auf mich. - Jedenfalls haben wir uns heute, das erste mal außerhalb des Fitness-Studios, gedatet und unter Garantie bin ich sowas von null-komma-null an ihm interessiert!“

Torben lächelt zufrieden: „Wie wär´s mit Tanzen?“, worauf sich in den nächsten Minuten herausstellt, dass er das wirklich gut kann, bis ich irgendwann etwas wie „Pause einlegen!“ und „Luft schnappen!“ gröle. Auf dem Weg nach draußen spendiert mir Torben eine Cola und beweist somit, dass ER sympathischer Weise NICHT auf Pump lebt. Wir treten ein paar Schritte weg vom Clubeingang, stoßen an und trinken, worauf ich mich prompt verschlucke und die Cola ins Glas zurück pruste, denn ums Eck entdecke ich den fast schon vergessenen und inzwischen sternhagelvollen Peter, die Zunge bis zum Anschlag in der gierigen Maus, welche er im Zwielicht sabbernd an die Hausfassade presst. Ich röchle ein unterdrücktes: „Igitt“, während den Zungenakrobaten mein peinliches Bemühen, den Hustenanfall unter Kontrolle zu bringen, entgeht. In schallendem Gelächter klopft mir Torben auf die Schulter: „Du könntest glatt nen erfolgreichen Kuppel-Service aufmachen, was?! - Komm lass uns wieder reingeh´n...“ Tapfer boxt mich Gladiator-Torben durch die bebende Menge zurück in den Tanzpalast.

Passend zu Mias Song Tanz der Moleküle hat die Partystimmung inzwischen den Siedepunkt erreicht. Die Masse drückt und schiebt, sodass ich zwangsläufige Bekanntschaft mit Torbens muskulöser Brust mache. „Uuhuhuuu…“ ertönt Mias zartes Säuseln aus den Boxen, und als sich dabei unsere Blicke treffen könnte man, würde man uns anzapfen, mit dem Knistern den gesamten Münchner Strombedarf decke. Pure Elektrizität, „…und jedes Molekül bewegt sich“. Torbens Pupillen blitzen lüstern, während über meine Lippen ein verschmitztes Lächeln huscht. „…und jedes Molekül entlädt sich“, es bedarf keiner weiteren Worte und Raum und Zeit UND Peter (der übrigens längst samt Maus und den geborgten zwanzig Euro auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist) sind nicht mehr existend.

Er knutscht gut - verdammt gut. Der beste Knutscher seit langem. (Dem Vergleich hält er natürlich locker stand, denn ich hatte ja auch lange keinen.)

Nachdem wir Justin Timberlakes kompletten Futuresex/Lovesound durchknutscht haben, tanzen wir uns derart heiß an, dass die Luft um uns nur so vibriert.  Doch mehr als das will ich nicht. Nicht heute. Nicht jetzt. Und nicht von Torben aus Hannover.

 

Und so neigt sich irgendwann diese schöne Nacht dem Ende und der Club schließt. Ein wenig Wehmut kommt auf, als uns bewusst wird, dass wir jeweils am anderen Ende Deutschlands wohnen und keiner von uns beiden wirklich in der Stadt des anderen leben wollte, noch eine Fernbeziehung möchte und überhaupt...

Die Lichter gehen an und mein Puder blättert ab. Der Lipgloss ist abgeknutscht, die Wimperntusche bröckelt und in der Morgen-dämmerung zwitschern schon die Vögel. Torben bietet mir zwar freundliches Geleit an, doch ich nehme brav ein Taxi.

Eine zufriedene Müdigkeit macht sich breit. Durchaus gut angeschickert, lasse ich Revue passieren und weiß, dass der Sommer kommen kann. „Ich bin wieder da!“,  jauchze ich in mich hinein und freue mich auf morgen, denn dann bekommt meine beste Freundin Laura, diese Geschichte brühwarm auf den Crosstrainer geklatscht.


 
 
  Heute waren schon 11 Besucher (30 Hits) hier!  
 
Diese Webseite wurde kostenlos mit Homepage-Baukasten.de erstellt. Willst du auch eine eigene Webseite?
Gratis anmelden