Melanie Nunner
  8 Münchner Kindl
 

 

Petrus meint es gut mit uns, denn auffallend warmer Südwind schwappt über die Alpen. Sanft streift der berühmt berüchtigte Münchener Föhn meine Haut. Ich blinzle noch einmal in die Sonne am strahlend blauen Himmel, bevor ich das vermeintlich kühle Treppenhaus des fünfstöckigen Altbaus betrete, dessen schwere Holztür wie Draculas Sargdeckel knarzt und nach einem Tropfen Öl lechzt. - Klar ist, dass ich soeben Lift freies Terrain betrete und noch klarer ist, dass Laura im Penthouse wohnt. - Also gaaanz oben!

Jede erklommene Stiege ächzt unter meinen rhythmisch dazu klappernden Flip-Flops und ab dem dritten Stockwerk ächze auch ich, denn es wird zunehmend wärmer. Tapfer hangle ich mich Stufe um Stufe aufwärts und wünschte ich hätte eine Sauerstoffflasche, gerne auch Steigeisen, zur Hand. - Da hilft auch all das Fitness nichts. - Wie schafft das Laura bloß tagein, tagaus? Sollte ich sie mir etwa zum Vorbild nehmen und künftig weniger den Crosstrainer, dafür vermehrt den Stepper frequentieren?! - Ab und an halte ich inne, klaube meine ausgedörrte, am Boden schleifende, Zunge auf und rolle sie zurück in den Mund. Kurz vorm verdursten, komme ich hechelnd und sogar noch am selben Tag oben an. Meine, mittlerweile an den Gaumen betonierte, Zunge fühlt sich an, wie Sandpapier 60er Körnung.

Ich trete durch die sperrangelweit offenstehende Wohnungstür, vernehme das trällernde Radio und bringe zur Begrüßung nur keuchende Schnalzlaute heraus: „Lau-ts-tj-ra?!“ Wie bestellt und nicht abgeholt stehe ich ermattet im einsamen Korridor. Ich lasse meine Tasche fallen und hieve mich durchs Wohnzimmer, direkt auf die begrünte Dachterrasse. Von Laura keine Spur, bis eine erklärende Stimme aus der Küche: „Bin gleich daha!“, tiriliert.

Nicht zu übersehen, sie steckt schon in den Startlöchern, denn das Notebook ist bereits hochgefahren und steht auf dem Tisch im Schatten des Sonnenschirms. Ich mache es mir gerade im einladenden Rattansessel bequem, da schwirrt Laura herbei und kredenzt mir am helllichten Tag ein Hefeweizen, dessen Schaumkrone formschön bis über den Rand lappt. „Also, mein Pseudonym hab ich schon...“ Gekonnt schenkt sie ihre Halbe ein und erhebt ihr Glas: „Münchner Kindl!“

„Topp“, staubt es trocken aus mir heraus, worauf ich gierig einen erfrischenden Schluck nehme, „find ich echt prima!“ und mir den Schaumbart abschlecke. Laura öffnet den Explorer und gibt Partnerbörse-Single in die Suchmaschine ein: „Uff! Da kommen aber viele Vorschläge...“

„Klick doch mal irgendeine Seite an, vielleicht können wir uns ja erst mal einen Überblick verschaffen.“ Der erste Link öffnet sich und ich kommentiere: „Kommt ziemlich spießig daher.“

Laura klickt weiter: „Hier loggen sich wohl nur die christlichen Wähler ein.“

Die nächste Website ist zwar schon eins besser, doch auch deren Aufmachung überzeugt nicht wirklich. Eine ganze Weile geht das so und wird begleitet von unseren Kommentaren: „Zu konservativ, zu niveaulos, zu kitschig...“ und so weiter.

Während ich mich noch über das weich-gezeichnete, Rosen-umrankte, schleimig-schöne Promo-Paar auf der Startseite wundere und frage, ob sich hier tatsächlich ein solch klischeehaft, verliebt anhimmelndes Pärchen je zusammen-gefunden hat, ruft Laura plötzlich: „Diese hier! - Die ist es!“

Und ich will wissen: „Heißen die jetzt DElite von: Delight, von: DieElite oder einfach von: DemLeid?“

Doch zugegeben, macht das keinen Unterschied und wenn es schon sein muss, ist diese Seite von allen bisher gesehenen, mit Abstand immer noch die Ansprechendste.

Als erstes verlangt das Portal von Laura sich mittels eines Pseudonyms anzumelden. Flink tippt sie Münchner.Kindl ein, bestätigt und ist eingeloggt.

Somit sind wir - nein – SIE: ONLINE!!!

„Und jetzt?“

„Fotos hochladen“, sie nimmt einen Schluck, „ich hab aber nichts aktuelles, nur eindeutige Wiesn-Fotos und die vom letzten Tollwood.“

„Soll heißen?“ - Keine viertel Stunde später habe ich die Antwort: Lauras Haare sind gepimpt und erinnern stark an die Duschgel-Werbungen, in denen die Frauen mit diesen wahnsinns-hochgesteckten Bananen (aus denen, natürlich rein zufällig, perfekt platzierte Locken herauspurzeln) gänzlich trockenen Hauptes, lasziv hinter dem Milchglas hervorlugen. Und dann auch noch so aussehen, als sei maximal ein einziges klitze-mini-mikro-kleines Greifspängchen für diese Bombenfrisur verantwortlich. (Was übrigens ähnlich faszinierend ist, wie die Hollywood-Schönheiten-für-jede-Lebenslage, welche nach nur knapp überlebter Verfolgungsjagd, eine viel zu kurze Nacht durchzechen. Sich anschließend nach beachtlichem Drogenkonsum und völlig realistisch, einer sexuell aus-schweifenden Exzessiv-Orgien-Erfahrung-unbekannter-Dimension hingeben, nur um am nächsten Morgen erwartungsgemäß tipp-topp gestylt und selbstredend ohne jegliche Make-Up-Makel taufrisch erwachen.)

Während ich Lauras Schokoladenseite ablichte, posiert sie im sexy Sommeroutfit, zwischen Hortensie und Liguster, derart verführerisch, dass selbst die Venus von Milo neidisch würde.

„Ihre Bilder werden hochgeladen“, informiert uns DElite, „bitte warten Sie.“ Inzwischen verdrücken wir die Weißwürscht und genehmigen uns ein zweites Bier. (Es ist ja immerhin „schon“ halb drei, also fast Abend!).

Als wir zusehends heiterer werden, stehen die Bilder bereits online und wir öffnen das Profil.

Es untergliedert sich in verschiedene Themenbereiche, angefangen mit Über mich. Hier trägt man sämtliche Eckdaten über sich ein, ob ledig oder verheiratet, ob feste Beziehung gesucht oder Abenteuer; die Größe, wenn man will auch Gewicht, Kinderwunsch, Sternzeichen, Augenfarbe, Rauchverhalten, sonstige Abnormitäten und schlussendlich das Motto.

„Motto – Schande – was schreib ich da nur?“

„Also als erstes ja wohl Kein Foto – keine Antwort!“

„Richtig, unbedingt“, sie tippt eifrig.

Wir tüfteln weiter und schlussendlich sieht dann ihr Motto wie folgt aus:




Als nächstes kreuzt Laura unter Freizeit an, welchen Musikgeschmack sie bevorzugt (also fast alles!), welches Essen sie am liebsten mag (also fast alles!), wohin sie gerne verreist und wo sie am liebsten ausgeht. Nachdem überall fast alles angekreuzt ist kommt sie zu den Outdoor-Aktivitäten. Hier zählt sie nahezu alle Münchner Events auf, bis ihr die Zeichen ausgehen. Nun kommen noch diverse Sportarten. Hier klickt sie Fitness und Wassersport im allgemeinen an. Jetzt wird es spannend, denn wir kommen zur Seite der 20 Fragen. „Das kann doch kein Mensch alles beantworten“, stöhnt sie, „und wen interessiert das alles?“

Ich kann meinen Sarkasmus nicht verstecken: „Willkommen im Online-Katalog!“

Wieder stöhnt sie und liest die erste Frage vor: „Wie sieht Ihr Traummann aus?

„Na, dann erzähl doch mal. Eher blond-brünett-schwarz-haarig oder grün-braun-blau-äugig? Gläubiger Atheist oder gar ein afrikanischer Inder mit asiatischem Einschlag? Welches Schweinderl hätten´s denn gern?“

„Oh du Bestie! Die meinen bestimmt die inneren Werte“, sie kneift mich ins Bein, etwas anderes kriegt sie nicht zu fassen, denn ich bin reaktionsschnell. 

„Ja genau – innere Werte“, und wieder verrät meine Betonung meine wahren Gedanken.

„Pff“, sie tippt wild vor sich hin und schreibt Attribute wie ehrlich, treu, humorvoll, zuverlässig und so weiter.

Wie sieht Ihre Traumbeziehung aus?“, liest sie weiter vor, „na, das hab ich doch mit der Traummann-Beschreibung schon abgehandelt, oder etwa nicht?!“

Auf ihren fragenden Blick antworte ich: „Ja schon, aber vielleicht sollst du ja da eine Art Alltagsbeschreibung zum Besten geben.“

Schweigend glotzen wir beide auf den Bildschirm, bis Laura sich, mit fuchtelnden Fingern, wieder über die Tastatur beugt: „...siehe oben und Motto -  und schön halt, wie wohl sonst.“

„Na sooo kriegste keine!“

„Was?“

„Traumbeziehung.“

Sie löscht es und schreibt: Kuschelig und zum Wohlfühlen.

Wieder gemeinsames Schweigen.

Ein weiteres Mal löscht sie und tippt erneut: „Ich merke einfach, wenn der Richtige vor mir steht, denn dann fühlt es sich nach Zuhause an, nach Angekommen sein“, und setzt ein Smilie dahinter.

Ich kommentiere mit „besser ist das“ und sie speichert auch diese Antwort.

Die nächste Frage lautet: Was bedeuten Ihnen Ihre Eltern? Die Antwort fällt ihr leicht: „Ich liebe sie über alles, bin aber schon groß und entsprechend abgenabelt- wieder ein Smilie, diesmal ein zwinkernder.

Ebenso tippt sie die Antwort auf: Was bedeuten Ihnen Ihre Freunde? wie aus der Pistole geschossen: Alles, sie sind die Luft zum atmen. Nichts geht über wahre, echte, tiefe, aufrichtige Freundschaft!Breit grinst sie mich an und bekommt zum Dank einen dicken Schmatzer auf die Wange.

Die Fragen: Was ist das Beste an Ihnen?, Was tun Sie, wenn Sie sich unbeobachtet fühlen? und: Welche Macken haben Sie? überspringen wir und kommen zu: Welche drei Dinge würden Sie auf eine einsame Insel mitnehmen? „Abgedroschener geht’s ja wohl wirklich nicht.“

„Tja Laura, DU wolltest das, NICHT ich...“, mich erwischt der nächste Rempler in die Seite, „...ich bin für den Button Überspringen“.

„Überspringen“, wiederholt sie und überspringt.

Was bedeutet für Sie Erfolg?“

„Überspringen.“

Sie überspringt.

Was frühstücken Sie wochentags?“

„Überspringen.“

Sie überspringt.

Wie sieht Ihr Frühstück am Wochenende aus?“

„Überspringen.“

Sie überspringt.

Eigentlich überspringt sie so ziemlich alles und täuscht ein Gähnen vor: Was schätzen Ihre Freunde an Ihnen? Da schreib ich auch nix, das ist peinlich und irgendwie find ich, das gehört sich doch nicht.“

„Hä?“

„Na, das zu beantworten wär doch glatte Selbstbeweihräucherung.“

Ich schüttle verständnislos den Kopf, ignoriere ihren Demuts-Anfall: „So ein Schmarrn!“, und diktiere forsch, „schreib: ehrlich, humorvoll, witzig, jemand zum Pferde stehlen, verlässlich, loyal.“ Zwischendurch merke ich, wie sie beim Tippen ins stocken gerät und stupse sie an: „Auf geht’s, schreib weiter: verschwiegen, geht durch dick und dünn, verständnisvoll, tolerant, großzügig, flippig, aufgeschlossen, weltoffen...“ Doch die Zeichen gehen wiedermal aus, worauf Laura die nächste und zugleich letzte Frage betont geschwollen stelzt: „Wie würde sie ein Blinder beschreiben?

„Saublöde Frage - schreib: dick – nein, schreib: fett - fettleibig mit überall Furunkel, kaum nennenswerte Eiterbeulen und selbstverständlich etliche offen Geschwüre. Aufgeplatzte Krampfadern, fettiges, dünnes Haar und eine große schwarze Warze am rechten unteren Doppelkinnrand...“

Nachdem wir auch diese Frage übersprungen haben speichert Laura alles ab und bittet mich noch ein bisschen zu bleiben, um mit ihr die ersten „Katalog“-Seiten zu inspizieren. Sie gibt ihre Suche ein und begrenzt das Alter, wie nicht anders zu erwarten, auf 5 Jahre älter und 5 Jahre jünger - und bestätigt. Ein paar interessante Anwärter erscheinen auf dem Bildschirm, aber auch genügend No-Goes. Einer fällt mir auf, der sieht magnifique aus und trägt auch selbiges Pseudonym. Laura klickt ihn an und wir lesen sein Motto: Ein harter Schwanz ist das größte Kompliment für eine Frau!“ Uns bleibt der Mund offen stehen und sie drückt ihn (samt Motto!) wieder weg. Ich verkneife mir an dieser Stelle meinen Kommentar, da Laura meine Meinung zu dem ganzen TammTamm ja eh schon kennt.

Als nächstes tauchen so einige Herren der Schöpfung auf, bei denen es mich nicht wundert, dass sie bei diesem Verein zahlende Mitglieder sind. Was mich allerdings sehr wohl wundert ist, mit welch Horrorshow-Fotos hier geworben wird. Ich deute auf ein besonders unansehnliches Exemplar: „Na, Puppe, wie wär´s mit dem hier?!“, worauf Laura irgendetwas Unverständliches in den Monitor nuschelt.

Nach der x-ten `Augenweide´ habe ich wahrlich genug gesehen und schon viereckige Augen. Außerdem dämmert es bereits. „Nicht bös sein Laura, aber ich glaub ich mach schlapp. Bin platt für heute.“

Sie ist jedoch in solch euphorischem Taumel, dass sie das gar nicht recht stört: „Null Problemo – wir telefonieren.“ Paralysiert klickt sie Seite um Seite weiter: „Ich werd hier aber sicher noch´n Bisschen weiterschaun, verstehst du?“, und ich verstehe.

Sie bringt mich zur Tür: „Viiielen lieben Dank, du Superfreundin, du!“, und umarmt mich mit der Bitte ihr nicht böse zu sein, wenn sie morgen ausnahmsweise das Fitness schwänzt Ich bin ihr nicht böse, verabschiede mich und erwische haarscharf den 19.45 Uhr-Bus, in der Vorfreude auf mein Sofa und den Samstagabendfilm.

 
 
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