
Es ist Sonntagmorgen – nein, eher schon Mittag - noch präziser ausgedrückt sogar schon früher Nachmittag. - Jedenfalls schlage ich mich mit ProDummys Kaffee-Spähtziale wach, frühstücke zwei Aspirin und schleife den daraus resultierenden Flattermann pflichtbeflissen ins Fitness-Studio.
„Ja duuu siehst ja vielleicht fit aus!“, schmettert mir Laura, die natürlich längst schon fleißig vor sich hin steppt, als Begrüßung entgegen: „Warst auch schon mal pünktlicher!“ Ich stöhne grußlos und schalte ich das Gerät ein.
Heute empfinde ich das Programm als echte Tortur, von wegen „die Geschichte brühwarm auf den Crosstrainer geklatscht“. Nach quälenden zwanzig Minuten Aufwärmphase, stürze ich ohne abzusetzen meine halbe Wasserflasche die dehydrierte Kehle hinunter.
„Na, war wohl lange gestern, was?“ Wie sehr mich Lauras Sarkasmus nerven kann, merke ich soeben. Emsig hoppelt die Quirlige vor mir auf und ab, um sich „warm zu halten“.
Töten könnte ich sie dafür, doch kämpfe stattdessen massiv mit meinem Kreislauf.
Wir gehen zum Po-Trainer. Besser gesagt: Laura hüpft - ICH krieche!
Mich dreht es: „Mach du zuerst“, und Laura schwingt sich bäuchlings auf die Bank des Gerätes. Voller Elan fängt sie ihre Übung an und zählt dabei energiegeladen bis zwanzig. - Einfach ekelhaft, wie fit sie heute ist, im Gegensatz zu meiner Wenigkeit.
Tapfer prügle ich mich durch sämtliche Übungen, worauf die erlösende Dusche gottlob eine äußerst positive Wirkung zeigt. Eben jene, die sich gerade an Tagen einstellt, an denen man stolzgeschwängert einmal mehr seinen inneren Schweinehund überwunden hat. Erstaunlich wacher, fast schon frisch und munter, verlassen ich mit Laura das Bogenhausener Studio und vergewissere mich, während wir die Fahrräder aufschließen: „Also, wie abgemacht - Englischer Garten - Eisbach?“
„Bei deeem Wetter“, mit hochgezogenen Augenbrauen sieht mich Laura fast schon vorwurfsvoll an, „...Pflicht“. Also radeln wir über den Herkomerplatz, den Montgelasberg hinunter. Es herrscht frühlingshaft emsiges Treiben. Man merkt deutlich, wie sehr wir Münchner den Frühling ersehnt haben. Denn als wir die Tivolibrücke überqueren, sehen wir unter uns schon dutzende Sonnenhungriger auf dem Kies, entlang der Isar liegen und beim Durchqueren des Englischen Gartens, müssen wir direkt aufpassen, keinen Spaziergänger zu überfahren. Wir passieren den Chinesischen Turm und hören die Blasmusik, das Klirren der Bierkrüge, Gelächter und Kindergeschrei vom Spielplatz. Selbst der charakteristische Sound der Fahrradreifen, die über den Schotter brettern, ist Musik in den Ohren. Dazu duftet es herrlich nach Flieder, im Wechsel mit offenwarmen Brezn, geräuchertem Steckerlfisch, frisch geschnittener Radi (preußisch: Rettich) und nicht zu vergessen, einer Prise Hopfen. Diese besondere Mischung gibt dem Ganzen eine unverkennbare Note.
Wir überholen einen trällernden Rikscha-Fahrer samt Fracht, queren den Eisverkäufer, einen Trupp Bongo spielender Rastas und das gut frequentierte Volleyball-Netz. Eine Gruppe Kubaner breitet ihr Picknick aus, während einer von ihnen mit den Fingerknöcheln auf seine Klampfe einhämmert und zum passenden Rhythmus singt.
An der großen Eiche, mit Blick zum Seehaus schlagen wir links ein, lassen den Monopteros, an dessen Anhöhe sich eine stattliche Anzahl nett drapierter Bikini-Schönheiten sonnt, hinter uns. Wir halten auf den Eisbach zu, um dort unsere Decken aufzuschlagen und lassen uns nieder. Lauras Gesichtsausdruck entnehme ich eine gewisse Erwartungshaltung: „So meine Liebe, dann erzähl mal warum du heute so fertig bist. Und lass bloß nichts aus!“ Und ich lasse nichts aus: Angefangen bei Felicè, über Peter zu Torben und im Taxi endend.
Ich blicke in den diesig blauen Frühlings-Himmel, an dem hoch oben die wiedergekehrten Zugvögel kreisen und seufze: „Knutschen ist was schönes und die Liebe auch.“
Laura seufzt: „Wem sagst Du das“, und schiebt ihre Sonnenbrille ins Haar: „Obwohl ich schon gar nicht mehr weiß, wie das geht.“ Nachdenklich blickt sie in meine Richtung: „Fast zwei Jahr ist das jetzt mit dem Denis her.“ Mit einem Ruck läßt Laura die Brille wieder auf die Nase rutschen: „Ich hab das Single-Leben so dermaßen gestrichen, sollte ich mich bei einem Single-Portal anmelden?!“
Unschlüssig ob meine Freundin soeben den Verstand an die Torschlusspanik verloren hat, jappse ich ungläubig: „Meinst du etwa ONLINE?!“
Laura die Nase als sei sie Wicki ohne die starken Männer: „Online-Portal meine ich.“
Ich ringe nach Luft: „Mensch, das ist doch hirnrissig! Du willst doch was echtes, etwas reales! Und nichts ist realer, als die Realität!“ Lauras Ungerührtheit versetzt mich in weitere Wallungen: „DAS hast du doch weiß Gott nicht nötig!“ Und ich frage mich, wie weit Frau sinken kann und versuche ihr mit allen Mitteln diese Schnapsidee auszureden, denn an diesen Weg der Partnerbeschaffung glaube ich nun mal so gar nie-nicht. „Das ist doch nur was von drögen Luschen für dröge Luschen“, runzle ich meine Stirn und stoße auf blankes Unverständnis.
Laura kontert aufgebracht: „Meinst du damit etwa ich sei eine dröge Lusche?!“ Ups! – Gleich explodiert die Gute!
Natürlich meine ich nicht SIE persönlich: „Eben NICHT! - Deswegen bin ich ja so entsetzt: Du bist bestimmt keine dröge Luschen, aber alle anderen!“ Und ich bleibe dabei: „Also, wenn du dich unglücklich machen willst: Go for it! Aber ICH halte eindeutig nichts davon und fertig.“
„Mal ehrlich“, wirft Laura ein, „was soll ich denn machen, wenn ich die meiste Zeit meines ach-so-kostbaren Lebens in Paragrafen versunken hinter Aktenordnern verschimmle?! Und während meiner Überstunden stolpert mir garantiert keiner über den teakhölzernen Kanzlei-Schreibtisch und sagt: Fräulein hier bin ich, darf ich sie auf mein Schloss entführen? Mein weißer Schimmel parkt direkt in der Theathinerstraße vor Tiffany und wartet mit laufenden Nüstern.“ Exaltiert wirft sie ihre brünetten Löckchen ins Genick: „Mal ganz abgesehen davon, dass Mandanten sowieso tabu sind.“ Fräulein begutachtet ihren Nagellack: „Und die Protze im Fitness-Studio finde ich persönlich jetzt auch nicht grad den Brüller.“ Wie versteinert beobachte ich ihren Gefühlsausbruch, was Laura allerdings nur noch mehr anstachelt und weiterschnattern lässt: „Mensch Julia! - Ich versaure noch! - Ich vertrockne!! – Ich VERDÖRRE!!!“
Gut, das letzte klang jetzt aber WIRKLICH panisch!
Es ist ja nicht so, als könnte ich das nicht lebhaft nachvollziehen und so suche ich nach einer Lösung: „Wir müssen eben einfach mal wieder richtig ausgeh´n, bevor wir zu Staub zerfallen!“
„Oder zu Asche!“
„Jedenfalls hat an MEINE Haustüre noch kein Traummann getrommelt.“
Allmählich beruhigt sich meine Freundin wieder: „Hast ja recht, lass uns mal wieder um die Häuser zieh´n.“
„Richtig so, und kommenden Samstag ist passender Weise die Helleschock-Party - weißt schon – von den selbstorganisierten Jungs, die in wechselnden Locations, grandiose Events inszenieren. - Diesmal am Maxforum, in der stillgelegten U-Bahn-Unterführung.“
„Wow, klingt spannend!“
„Es ist also a abg´machte Sach?
„Das Ding steht.“
„Give me five sister!“
Sie schlägt ein und wir verabreden uns für kommenden Samstag, 22 Uhr, U-Bahn Lehel.