Am Nachmittag herrscht eine düstere, beinahe mystische Gewitterstimmung und der dämmrige Himmel ist wolkenverhangen.
Als es endlich zu tröpfeln beginnt, dringt durch meine offene Balkontür der schwere feuchte Duft dampfend warmer Erde und es riecht nach Frühsommer. Kakao schlürfend zappe ich durch die Kanäle und bleibe hängen bei „Schleich Dich“ Folge 632: Seychellen - einfach schaumhaft!
Auf dem Sofa lümmelnd sehe ich der Karibik beim sonnen zu, während hier der Regen aufs Fenstersims prasselt. Und gerade als ich eingenickt bin, schreckt mich das Telefon auf.
Benommen hebe ich ab, worauf mich die, mir ins Auge springende, Uhrzeit darauf hinweist, dass es bereits 21.43 Uhr ist und mein Einnicken wohl doch schon eine Ecke her ist.
Benebelt lausche ich der Stimme aus der Muschel, die gegen Straßenlärm anschreit.
„Es war grausam“, keucht eine aufgelöste Laura, an der offenbar gerade ein Transporter vorbeidonnert, „und ich sage dir, der konnte konversations-technisch sowas von überhaupt gar nicht mit dem Eindruck, den er während unserer Chats abgegeben hat, mithalten. Es war fast so, als wenn mein Chatpartner ein ganz anderer gewesen wäre, verstehst du? Ich kann´s immer noch nicht glauben!“
„Hmmm“, mümmle ich hilflos vor mich hin, „offenbar ist es keine Kunst sich via Internet besser zu verkaufen, als man in Wahrheit ist.“
Der Straßenlärm wandelt sich in ein hallendes Treppenhaus.
Begleitet vom Knarzen der Stiegen jammert Laura: „Seeehr frustrierend! - Das war jetzt quasi die Opposition zu: Anfängerglück...“
Wie meine Freundin beim Treppenaufstieg (ich vermute sie mittlerweile im 3. Stock) derart viel Luftüberschuss hat, um zeitgleich noch lustig vor sich hin jammern zu können: „Das war wirklich alles andere, als ein geglückter Start. - Das reinste Desaster...“, ist mir gänzlich schleierhaft.
Ich höre Schlüssel klimpern, dann das Zuknallen Lauras Wohnungstür und dann ein inbrünstiges: „Jetzt hilft nur Alk!“ - Es ploppt ein Bierdeckel. Anscheinend Helles, denn Laura trinkt aus der glucksenden Flasche.
„Aaalso“, schluckt sie, „er - mindestens zehn Kilo schwerer als auf dem Foto - hatte - auch in keinster Weise mit seinem Profilfoto identisch - eine eisschollendicke, total unstylische Nickelbrille auf halber Höhe der rot eingekerbten Nasenflügel hängen - was bedeutet sie hat dort ihren Hauptwohnsitz angemeldet – und...“ (Wieso überrascht mich das jetzt nicht?)
Interesse heuchelnd unterstelle ich ihr ungläubig: „Das erfindest du!“
„Du denkst ich übertreibe?!“, braust Laura auf: „Na, dann pass mal auf...“, also passe ich auf. - „Er hatte ein kariertes Holzfäller-Flanelhemd an, das derart um seine Wampe gespannt hat, dass ich sogar sein herausquillendes Rippenunterhemd, durch die sich wölbende Knopfleiste, sehen konnte!“
Ich kichere: „Ist nicht wahr, oder?“
„Wohl wahr! - Ich dachte es würde jeden Moment sprengen und einer der Knopfgeschosse mich mit Blindheit schlagen, sollte ich nicht rechtzeitig aus der Schusslinie gelangen! - Ich kam mir vor, wie ein Torwart, der den Ball des Elfmeterschützen fixiert.“ Sie räuspert sich: „Ich saß – und bitte glaub mir - noch nie so einem spannenden Hemd gegenüber und ich meine nicht aufregend spannend, sondern sprengend spannend!“
Ich unterdrücke mein über die Maßen amüsiertes Glucksen: „Ojemine, und wie sah der Rest aus?“
„Der Rest sah aus, wie...“, sie nimmt einen kräftigen Schluck aus der Pulle, bevor sie fortfährt, „...eine Hochwasser-Cordhose in die sich das Überbleibsel-der-80-er-Jahre-Hemd quetschte und darüber, um das Unvorteilhafte zu perfektionieren, auch noch eine weit klaffende, mit Buttons übersähte Jeansweste, die er sowieso NIE zu bekommen hätte - fehlte eh schon ein Knopf und sehr verwunderlich, wie er es überhaupt geschafft hat sich da reinzunageln, bei den stämmigen Ärmchen. - Die Hosenträger, sowie das Gesundheitsschuhwerk erwähne ich an dieser Stelle gar nicht erst.“
Wie ich mir so vorstelle, wie die nett anzusehende Zierliche neben dem geschmacksverirrten Bullen hockt, kann ich mir einen Lacher nicht länger verkneifen.
„Das brauchst du auch nicht - ich hab das Bild förmlich vor Augen“, gackere ich und vernehme im Wechsel: „Jetzt... gleich... Tunnel...“ - Rauschen - „...el-fonieren und...“ - Knistern - „bis...“ - Knacken - und die Verbindung ist unterbrochen.
Laura ist nicht mehr in der Leitung.